Ist Darts wirklich Sport ?

 

dieser Artikel von Martin Rupps vom SWF hat in der Darts-Szene  für Aufregung gesorgt.

 

Hier nochmals der Artikel und auch ein passender Gegenartikel von Lutz Wöckner (Welt), der das wieder ganz anders sieht.

 

Aber lest diese Artikel und bildet euch eure eigene Meinung...

 

Martin Rupps vom SWF:

"Darts, der Sport für Dicke"

STAND

22.12.2020, 15:49 Uhr

AUTOR/IN  Martin Rupps

Wie Darts, ein langweiliger Sport mit bäuchigen Akteuren, so populär werden konnte, wird Martin Rupps immer ein Rätsel bleiben.

Zu den ungelösten Fragen der Schöpfung gehört, wie der Darts-Sport so populär werden konnte. In diesen Tagen bis Anfang Januar trägt die Professional Darts Corporation ihre Weltmeisterschaft in London aus, was Millionen Euro in Wettbüros pumpt und Millionen Menschen vor den Bildschirmen mitfiebern lässt. Dabei werfen doch nur zwei Leute Pfeile auf eine Scheibe.

Vielleicht bin ich altmodisch. Für mich hat Sport nicht nur mit schnellen Geschwindigkeiten oder Treffgenauigkeit zu tun, sondern mit Ästhetik und Athletik. Eine Eiskunstläuferin erobert mit ihrer schönen Kür mein Herz. Der Skispringer legt einen adlerhaften Flug hin. Der Ringer erinnert an Olympia im antiken Griechenland.

Und der Darts-Sportler? Wirft mit einer halben Armbewegung einen Pfeil! Auch von den Akteuren selbst geht kein Glanz aus. Sie tragen Allerwelt-T-Shirts, Tattoos und Bäuche - so sieht es für mich aus. Fleischberge gehören in diesem Sport offenbar zur Wettkampfvorbereitung.

Auch für das Aufhübschen der Sportart wird einiges getan. Die Champions bekommen (oder geben sich?) martialische Spitznamen. Michael van Gerwen zum Beispiel wird zum Mighty Mike („Mächtiger Michael“). Peter Wright ist der Snakebite („Schlangenbiss“), und er färbt Kopf- und Barthaar so bunt wie Pelikane – vielleicht, damit das Wurfgeschoss besser fliegt?

Ein Darts-Wettkampf ist eine moderne Messe. Jeder Spieler hat eigene Kirchenbänke für seine Fans. Streckt ein Spieler seinen Finger in die Luft, bricht Gekreische los. Ein katholischer Pfarrer könnte neidisch werden. Und sich von „Schlangenbeißern“ was abgucken.

Lutz Wöckner von der Welt  03.01.2021

Wer Darts nicht als Sport anerkennt, hat den Wettkampf nie geliebt

Stand: 03.01.2021 | Lesedauer: 4 Minuten

 

Von Lutz Wöckener

Sportredakteur

 

Mit der WM 2021 hat Darts einen Härtetest bestanden. Der Sport erbrachte den Beweis, dass er als solcher überzeugt. Auch ohne Fans und Party. Ignoranten sprechen ihm weiter die Berechtigung ab. Trotz oder gerade wegen kompletter Ahnungslosigkeit.

Es war die vielleicht größte Frage im Vorfeld dieser erstmals in leerer Halle ausgetragenen WM: Kann der Höhepunkt der Dartsaison auch ohne Fans überzeugen? War die gesteigerte öffentliche Aufmerksamkeit in den vergangenen Jahren der Faszination des Sports oder der Skurrilität und Einzigartigkeit des Events geschuldet? Konkret: Würden die TV-Zuschauer ohne den gewohnt bunten Rahmen der Bilder aus London abschalten?

Drei Wochen später ist die Antwort bekannt. Und sie fällt eindeutig aus. So sehr die kostümierten Fans und ihre Gesänge auch vermisst wurden, belegen Reichweitenzahlen und TV-Einschaltquoten, dass der Sport und seine Protagonisten die Welle auch allein reiten können.

James Wade warf den ersten Neun-Darter seit fünf Jahren, Gerwyn Price und Stephen Bunting stellten in ihrem Halbfinale mit 13 Highfinishs eine neue Bestmarke auf, und sogar die Höchstmarke von 880 geworfenen 180ern könnte im Finale noch überboten werden. Die Produktqualität war herausragend gut und der Zuschauer honorierte die Qualität, die ihm geboten wurde. Man bekam auch viel geboten für seine Zeit, die er während der drei Wochen investierte. Die gestiegene Leistungsdichte in der Weltspitze kreierte Spannungsmomente am laufenden Band. Nicht weniger als 14 Matches wurden erst im letzten Leg des finalen Satzes entschieden. Noch Fragen?

Offensichtlich. Ein Kolumnist des Südwestrundfunks widmete seine Aufmerksamkeit kurz vor Weihnachten der WM. Dort war Überraschendes zu lesen: „Wie Darts, ein langweiliger Sport mit bäuchigen Akteuren, so populär werden konnte, wird Martin Rupps immer ein Rätsel bleiben.“

Man möchte dem Kollegen das Match von Michael van Gerwen gegen Joe Cullen empfehlen, Dave Chisnall gegen van Gerwen, oder auch Gabriel Clemens gegen Peter Wright und Clemens gegen Krzysztof Ratajski. Das erste Achtelfinale eines Deutschen verfolgten bei Sport1 2,2 Millionen Zuschauer, die sich vor Begeisterung und (An-)Spannung die Schenkel wundgeklopft haben dürften. Man kann den Dartsport kritisieren. Aber langweilig? Nun gut.

Schwieriger wird es dann mit fortlaufendem Text. Der Autor erinnert daran, dass im Darts schließlich „nur zwei Leute Pfeile auf eine Scheibe“ werfen würden. Eine Verkürzung, die im Tennis (zwei Leute schlagen eine Filzkugel über ein Netz), beim 100-Meter-Lauf (acht Leute sprinten auf gerader Bahn) oder Fußball (22 Leute laufen einem Ball hinterher) ähnlich langweilig klingt.

Immerhin begründet er seine Abneigung: „Für mich hat Sport nicht nur mit schnellen Geschwindigkeiten oder Treffgenauigkeit zu tun, sondern mit Ästhetik und Athletik. Eine Eiskunstläuferin erobert mit ihrer schönen Kür mein Herz. Der Skispringer legt einen adlerhaften Flug hin. Der Ringer erinnert an Olympia im antiken Griechenland.“

Welch Trugschluss. Welch Anmaßung. Wer Sport allein über Ästhetik definiert, hat die Faszination des Wettkampfs nicht verstanden. Ist es nicht gerade die Vielfalt, die Sport ausmacht? Die Variation unterschiedlicher Voraussetzungen und Talente in den jeweiligen Disziplinen?

Sport kann pure Physis bedeuten, aber auch Anmut erfordern. Athleten brauchen mal Taktik, mal Technik, Kraft, Psyche, Ausdruck, Ausdauer oder Feinmotorik. Was aber alle Sportarten von Autorennen bis Zehnkampf eint, ist das Kompetitive. Der Wettkampf, und damit die Lust, sich mit anderen zu messen. Besser zu sein als der oder die Gegner. Sport ist 2:1 Tore, 21,43 Sekunden, 160 Kilogramm oder eben auch 180 Punkte.

Darts ist Wettkampf und maximal inklusiv

Man muss Darts als Sport nicht mögen, ihn aber als diesen anerkennen. Darts ist sportlicher Wettkampf in Reinkultur. Klar messbar, ablesbar, für jedermann nachvollziehbar und komprimiert auf 8 Millimeter schmale Felder. Er funktioniert ohne subjektive Bewertungen von Schiedsrichtern oder Punktrichtern, Wettereinflüsse oder andere externe Faktoren. Treffer oder kein Treffer – so einfach ist das, und gerade deshalb so faszinierend. Wer den Mental- und Präzisionssport nicht anerkennt, hat Wettkampf nie geliebt.

Sportarten wie Eiskunstlaufen oder Ringen als Beleg für die fehlende Berechtigung von Darts anzuführen, erscheint da geradezu grotesk. Wer Ästhetik allein sucht, sollte vielleicht lieber ins Museum gehen.

Zu allem Überfluss verkauft Sportsfreund, oder besser: Ästhet, Rupps seinen Verriss auch noch auf Kosten übergewichtiger Menschen. „Darts, der Sport für Dicke“, steht über seinen Zeilen, die von der Abneigung gegenüber allem oberhalb der schlanken Linie geprägt sind: „Fleischberge gehören in diesem Sport offenbar zur Wettkampfvorbereitung.“

Weiß er, dass übergewichtige Athletinnen und Athleten auch im Hammerwerfen, Gewichtheben, beim Golf, im Schwergewichtsboxen, Tennis und American Football, beim Rugby, Bowling und in vielen weiteren Disziplinen an den Start gehen?

Tatsächlich ist die Beleidigung ein großes Plus des Dartsports. Richtig ist: Er kann auch von übergewichtigen Menschen gespielt werden. Ebenso wie von dünnen, kleinen, großen, behinderten, alten, jungen, armen und reichen. Ein Board, drei Pfeile, eine Wand, eine Schraube. Jeder kann darten. Mit jedem und gegen jeden. Auch das ist eines der Erfolgsgeheimnisse. Großer Sport!